FLIESSGEWÄSSERFORSCHUNG
Die Fließgewässerforschung am IWA umfasst eine Vielzahl von Disziplinen, die sich alle mit der Funktionsweise, Dynamik und Wechselwirkungen in unseren Flüssen beschäftigen. Innovative Messmethoden und inter- und transdisziplinäre Konzepte sind hierbei erforderlich, um die Prozesse zu erfassen und basierend darauf Strategien und Maßnahmen für einen nachhaltigen und resilienten Wasserbau zu schaffen.
Am IWA werden Prozesse im Freiland untersucht, um Messdaten über die Natur zu gewinnen. Dabei kommen innovative Messmethoden zum Einsatz, die im internationalen Vergleich, neue und qualitativ hochwertige Erkenntnisse über die Prozesse in unseren Flüsse liefern. Die Kompetenzen des IWA umfassen insbesondere das ganzheitliche Monitoring des Feststofftransportes in Flüssen, die Analyse des Transportes von Mikro- und Makroplastik, die Wechselwirkungen zwischen Flüssen und Vegetation sowie die Untersuchung kohärenter Strukturen in der Strömungsmechanik. Bei der Bearbeitung der Fragestellungen wird die Einbindung unterschiedlicher Stakeholder und wissenschaftlicher Disziplinen groß geschrieben. So vielfältig die Themen sind, so unterschiedlich sind auch die Charakteristika und die Größe der Untersuchungsgebiete. So reichen die Forschungsschwerpunkte von Transportprozessen an steilen Wildbächen bis hin zu großen Kiesbettflüssen wie der Donau. Die gewonnenen Felddaten und Prozesskenntnisse werden durch ergänzende Monitoringarbeiten im Labor weiter vertieft.
Transport von Wasser
In unseren Fließgewässern kommt der Strömung des Wassers eine zentrale Bedeutung zu. Das Wasser fließt – von der Schwerkraft angetrieben – in seinem Gewässerbett talwärts. Die Wassertiefe und die Fließgeschwindigkeiten hängen von der Rauheit von Uferböschung und Gewässerbett, dem Sohlgefälle sowie der Querprofilgeometrie ab. Mit Ausnahme von geraden Gerinnen mit einheitlichem Querschnitt, in denen die Strömung als quasi 1-dimensional betrachtet werden kann, finden sich in Fließgewässern zumeist komplexe 3-dimensionale Strömungsmuster. Die Strömung ist bis auf wenig durchflossene Flachwasserzonen oder stark aufgestaute Bereiche zumeist turbulent. Die turbulente Strömung übt auf seine Berandungen Scher- und Druckkräfte aus. Die turbulente Strömung ist auch für Mischprozesse und die Verteilung von gelösten Stoffen und Schwebstoffen, sowie den Transport von Geschiebe, Plastik, u.v.m. im Fließgewässersystem verantwortlich.
Transport von Sediment – Geschiebe und Schwebstoff
Der Feststoffhaushalt und die Sedimentdurchgängigkeit von Flüssen spielen eine zentrale Rolle für die Morphologie und Funktionalität von Gewässern. Das dynamische Gleichgewicht von Sedimenttransport, Umlagerung und Sedimentation wird jedoch häufig durch Errichtung von Geschiebesperren, Wehren und Stauräumen und Flussregulierungen zum Hochwasserschutz und Nutzung der Flüsse als Wasserstraße gestört und führt zu den bekannten negativen Folgen für Ökologie und (Schutz‑) Wasserbau. Naturmessdaten sind von grundlegender Bedeutung, um die Auswirkungen von Eingriffen zu erkennen und auf Basis eines erweiterten Prozessverständnisses geeignete Maßnahmen zu entwickeln.
Menge und Zusammensetzung des transportieren Sedimentes (Geschiebe und Schwebstoff) unterliegen einer starken zeitlichen und räumlichen Variabilität und hängen nicht nur von den hydraulischen Bedingungen, sondern auch u.a. stark von der Verfügbarkeit ab. Die Erfassung des Transports ist mit vielen Herausforderungen verbunden, die innovative Ansätze und Messmethoden erfordern. Am IWA wird an mehreren Stationen in Zusammenarbeit mit den Hydrographischen Diensten und Ministerien (BML, BMK) ein umfangreiches Langzeitmonitoring durchgeführt, das von steilen Wildbächen bis zur Donau reicht. So können Transportprozesse untersucht werden und die gewonnenen Daten für die Anwendung, Kalibrierung und Weiterentwicklung von Transportformeln und numerischen Modellen herangezogen werden.
Konzeptierung von Feststoffmanagementkonzepten
Nachhaltige und resiliente Ansätze im Umgang mit unseren Flüssen erfordern die Entwicklung umfassender Feststoffmanagementkonzepte. Diese Konzepte beinhalten Strategien und Methoden zur Erfassung, Analyse und Steuerung von Sedimenten mit dem Ziel, die Auswirkungen von Erosion, Sedimentation und anderen geomorphologischen Prozessen besser zu verstehen und effektiv zu kontrollieren. Neben Naturmessdaten zu Geschiebe und Schwebstoff sind hier auch geomorphologische Erhebungen im Einzugsgebiet von großer Bedeutung. Durch den Einsatz von Drohnen, Kameras und LiDAR-Sensoren können im Feld hochauflösende Daten über Sedimentvolumina und morphologische Strukturen gewonnen werden, die die Erstellung präziser dreidimensionaler Modelle ermöglichen. Diese innovativen Technologien geben wertvolle Einblicke in Sedimentationsverhalten in Rückhalteräumen, dynamische Fließprozesse und potenzielle Veränderungen im Flusslauf.
Transport von Mikro- und Makroplastik
Der Siegeszug des Werkstoffes Plastik ist aufgrund seiner vielseitigen Anwendungsmöglichkeiten und seiner Resistenz ungebrochen, so wurden im Jahr 2020 für jeden auf der Erde lebenden Menschen 20kg Plastik produziert. Aufgrund der Langlebigkeit und dem Fakt, dass nur geringe Anteile weltweit recycled oder verbrannt werden, verbleibt das meiste Plastik in unserer Umwelt. Wird es nicht zumindest fachgerecht deponiert, kann es – oft über Umwege – auch in unsere Nahrungskette gelangen und auch vom Menschen aufgenommen werden. Um die Situation zu verbessern ist Forschung betreffend möglicher Transportwege, wichtiger Eintragspfade und Möglichkeiten zur konzentrierten Entnahme von Plastik aus der Umwelt notwendig.
Das IWA forscht daher seit mehreren Jahren daran, den Plastiktransport in unseren Fließgewässern zu quantifizieren und zu charakterisieren. So soll herausgefunden werden welche Quellen hauptverantwortlich für den Transport sind und letztlich der weitere Eintrag reduziert bzw. verhindert werden. Die Forschung zu diesem Thema fand an der Donau, im österreichischen Alpenraum, in Vietnam und an einem der meist verschmutzten Flüsse Europas, am Ishem River in Albanien statt.
Transport von Nährstoffen / Schadstoffen
Flüsse besitzen eine herausragende Fähigkeit zur Selbstreinigung durch physikalisch-chemische und biologische Prozesse. Das Zusammenspiel von mikrobiologischen Aktivitäten, Pflanzen und aquatischen Organismen wie Makroinvertebraten und Fischen befindet sich jedoch in einem empfindlichen Gleichgewicht, das durch äußere Einflüsse gestört werden kann. Zu den Ursachen der Störung gehören die Einleitung von Schadstoffen aus Industrie, Bergbau und Verkehr sowie die Einleitung von Medikamenten und Körperpflegeprodukten. Die komplexen Eintragspfade (Punktquellen, trockene und nasse Deposition) führen in Kombination mit dem Klimawandel zu wachsenden gesellschaftlichen Problemen. Diese äußern sich im Verlust der Biodiversität sowie in der Gefährdung der Trinkwasserversorgung und der Nahrungsmittelsicherheit.
Am IWA werden die Herausforderungen des partikelgebundenen Stofftransports im Kontext der morphologischen Bedingungen von Flüssen als Grenzen für die Aufrechterhaltung und Wiederherstellung von Selbstreinigungsprozessen untersucht. Ziel ist es, ein besseres Prozessverständnis des partikelgebundenen Schadstofftransports in Flüssen zu erlangen. Die Forschung wird einen Beitrag zu den Zielen der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung leisten: „Sauberes Wasser und Sanitärversorgung“, „Nachhaltige Städte und Gemeinden“ und „Leben unter Wasser“.
Interaktion Fließgewässer und Vegetation
Bei höheren Abflüssen kommt Vegetation auf Überflutungsflächen und aufgrund von Renaturierungsprojekten auch vermehrt auf Sedimentbänken im Gerinne in Kontakt mit der Strömung und mit dem Sedimenttransport. Vegetation erhöht die hydraulische Rauigkeit von überflossenen Flächen und beeinflusst somit die Strömung, die Wasserspiegelhöhen und die Retentionswirkung von Abflussflächen, und ist daher besonders für Fragestellungen des Hochwasserschutzes relevant. Dabei beeinflusst Vegetation auch den Sedimenttransport und kann so auf die morphologische Entwicklung einwirken, wovon viele Funktionen der Fließgewässer abhängen. Speziell die Wirkung von biegsamer Vegetation, die bei gegebenen Habitatbedingungen besonders in Ufernähe vorkommt und daher oft mit dem fließenden Wasser und den transportierten Sedimenten interagiert, stellt eine Herausforderung in Berechnungen dar. Die großen Durchflüsse im Wasserbaulabor des IWA erlauben Versuche zur Pflanzenverformung und zum Sedimenttransport im 1:1 Maßstab. Im Vergleich mit Messungen im Labor und in der Natur werden am IWA Computermodelle entwickelt (z.B. ein Finite-Element-Modell zur Modellierung der Pflanzenverformung und einer dynamischen Rauigkeit) und mit hydrodynamisch-numerischen Modellen und Sedimenttransportmodellen gekoppelt, um die Vorhersagbarkeit von morphologischen Veränderungen und Hochwasserauswirkungen unter Berücksichtigung der Vegetation zu verbessern.
Sozioökonomische Aspekte
Bei der Bearbeitung der Forschungsfragen verfolgt das IWA integrative Ansätze, die eine enge Zusammenarbeit und den Austausch mit unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen sowie relevanten Stakeholdern fördern. Besonderer Wert wird auf die Einbindung verschiedener Stakeholdergruppen gelegt, um unterschiedliche Perspektiven und Expertisen in den Forschungsprozess einzubringen. Dies ermöglicht eine umfassende Analyse und Lösungsentwicklung, die sowohl wissenschaftliche Erkenntnisse als auch praktische, gesellschaftliche und ökologische Anforderungen berücksichtigt. Der interdisziplinäre Dialog und die Vernetzung mit externen Partnern tragen somit wesentlich zur Qualität und Relevanz der Forschungsergebnisse bei.