PHYSIKALISCHE MODELLIERUNG

Das wissenschaftliche Experiment ist im Wasserbau und in der Fließgewässerforschung seit 150 Jahren eine zentrale Methode, um wasserbauliche und flussbauliche Fragestellungen in einem (skalierten) Modell unter kontrollierten Bedingungen untersuchen zu können.

Die Skalierung erfolgt anhand von Modellgesetzen und Ähnlichkeitsbedingungen. Typische anwendungsorientierte Fragestellungen reichen von der Dimensionierung von Tosbecken und Hochwasserentlastungsanlagen, über komplexere Fragestellungen zu morphologischen Entwicklungen in Flüssen, etwa bei Flussaufweitungen, bis hin zu ökohydraulischen Fragenstellungen, bspw. die Entwicklung von Fischaufstiegshilfen, oder das Untersuchen des Einflusses von Vegetation im Hochwasserfall. Der größte Vorteil eines Experiments gegenüber einer numerischen Simulation ist, dass eine reale Strömungssituation untersucht werden kann, ohne dass die physikalischen Prozesse, die man untersuchen möchte, (formelmäßig) bekannt sein müssen. Dies gilt insbesondere auch für Fragestellungen aus der Grundlagenforschung, um ein noch nicht vorhandenes Prozessverständnis zu entwickeln.

Vollmodelle

Bei Vollmodellen wird der zu untersuchende Flussabschnitt in seiner Gesamtheit betrachtet. Der Flusslauf wird mit seinen Krümmungen, Uferböschungen, Überflutungsflächen und etwaigen wasserbaulichen Einbauten oder Anlagen nachgebildet. Dadurch werden Sekundärströmungen, die bei Flusskrümmungen eine entscheidende Rolle spielen, oder die komplexen dreidimensionalen Strömungen, wenn Bauwerke um- oder überströmt werden, wirklichkeitsgetreu wiedergegeben. Vollmodelle von großen Flüssen oder lange Flussabschnitte erfordern einen entsprechenden Platzbedarf. Der Maßstab muss in diesem Fall oft sehr klein gewählt werden, was Skalierungsfehler aufgrund der im skalierten Modell stark unterschätzten Reynolds-Zahl zur Folge hat. Vollmodelle sind insbesondere dann unerlässlich, wenn morphologische Entwicklungen bspw. bei Aufweitungen oder bei sich stark verändernden Gewässergeometrien untersucht werden sollen.

Schnittmodelle

In Fällen in denen die Geometrie des Flusses aufgrund der relevanten lokalen Eigenschaften vernachlässigt werden können, werden sogenannte Schnittmodelle verwendet. Hier wird meist ein „Streifen“ eines Flusses in Längsrichtung modelliert. Dadurch können Modelle in größeren Maßstäben gebaut werden. Schnittmodelle werden üblicherweise in existierenden Laborrinnen aufgebaut und sind daher einfacher anzufertigen als Vollmodelle. Ein typisches Anwendungsbeispiel ist die Bestimmung der Förderfähigkeit einer Wehranlage. Schnittmodelle bilden nicht die gesamte Geometrie des Flusses, sondern nur einen relevanten Bereich, beziehungsweise die relevantesten Parameter ab. Oft werden Schnittmodelle auch für grundlegende schematische Forschungsfragen verwendet, bei denen nicht auf spezifische örtliche Begebenheiten geachtet werden muss.

Modellfamilie

Bei einer Modellfamilie wird ein und dasselbe Versuchssetup in mehreren Maßstäben aufgebaut. Die Untersuchungen in verschiedenen Skalen ermöglichen es, potentielle Skalierungsfehler aufzuzeigen und zu quantifizieren. Dies verbessert die Interpretation der Ergebnisse im Naturmaßstab. Während mittlere Fließgeschwindigkeiten in verkleinerten Modellen in der Regel sehr gut abgebildet werden, ist dies für Turbulenzparameter nicht immer der Fall, wofür u.a. die nicht korrekt abgebildete Reynoldszahl im skalierten Modell verantwortlich ist. Damit sind potentiell alle Reynoldszahl-abhängigen Prozesse fehlerbehaftet und die Modellfamilie ist eine Möglichkeit, diese Skalierungsfehler abzuschätzen.

Großmaßstäbliche Modelle

Der Einsatz skalierter Modelle hat Jahrzehnte lange Tradition im flussbaulichen Ingenieurwesen. Die Skalierung von Naturgrößen im physikalischen Modell führt jedoch auch zu wesentlichen Nachteilen, welche je nach Fragestellung berücksichtigt werden müssen. So können wesentliche Strömungsgrößen, wie beispielsweise vorherrschende Reynoldszahlen, im Modell nicht korrekt abgebildet werden. Gewisse Objekte hingegen können gar nicht korrekt skaliert werden, wie etwa Vegetation, Fische oder Menschen. Des Weiteren ist es in einem verkleinerten Modell nicht möglich, die gesamte Bandbreite heterogener Sedimente eines Flusses zu modellieren, da eine zu große Verkleinerung des Korns zu unterschiedlichen physikalischen Eigenschaften führen würde. Dies ist nur in großmaßstäblichen bis hin zu 1:1-Versuchen möglich. Das BOKU Wasserbaulabor verfügt mit Durchflüssen bis zu 10 m³/s sowie großflächigen Indoor- und Outdoorbereichen über die Infrastruktur, (nahe) 1:1-Versuche mit Reynolds-Zahlen, wie sie in natürlichen Fließgewässern vorkommen, durchzuführen.

Fluid-Struktur-Interaktionen

Die Interaktion von Festkörpern mit dem umgebenden Wasser fällt in die Kategorie von Fluid-Struktur-Interaktionen. Typische Szenarien in denen man von Fluid-Struktur-Interaktionen spricht betreffen zum Beispiel Turbinen, Windräder, und Sedimenttransport, aber auch das Schwimmverhalten von Wasserlebewesen. Im Zuge von Grundlagenforschung zur Bewegung der Sedimentpartikel im Wasser wurden Versuche zur Bewegung von einzelnen Partikeln mit Hilfe von 3D-PTV durchgeführt. Dazu gehören Versuche in denen die vorhandenen Strömungsstrukturen beim Bewegungsbeginn einzelner Steine, und auch zum Zeitpunkt von Kollisionen von Steinen erforscht werden. Diese Messungen werden auch zur Entwicklung neuer numerischer Methoden zur Simulation der Bewegung von Steinen verwendet.

Hybride Modellierung

Messungen können oft nur in beschränkter Genauigkeit, oder nur in Punkten durchgeführt werden. Viele relevante physikalische Größen lassen sich außerdem nur indirekt messen, wie bspw. der Druck im Strömungsfeld. In Fällen, in welchen zusätzliche Ergebnisse auf dem gesamten dreidimensionalen Gebiet von Interesse sind, werden daher numerische Simulationen eingesetzt. So ein Ansatz wird als hybride Modellierung bezeichnet. Dabei werden die gemessenen Daten verwendet um die numerische Simulation zu kalibrieren. Simulationen liefern dann Daten auf dem gesamten Strömungsfeld. Diese Daten können wiederum verwendet werden um den Modellversuch anzupassen, beziehungsweise um Gebiete zu identifizieren in denen zusätzliche Messungen neue Erkenntnisse liefern können. Wenn im Laufe der Versuche Änderungen in der Geometrie notwendig werden, kann hybride Modellierung ebenso Vorteile bringen. Kleine Änderungen sind meist einfacher im Modellversuch umzusetzen, während große Änderungen einfacher in numerischen Simulationen zu testen sind.

Laser Doppler Velocimetry – LDV

Laser-Doppler-Velocimetry (LDV) nutzt den Doppler-Effekt, indem es Laserlicht an kleinen in der Strömung mitgeführten Partikeln streut. Aus der Frequenzverschiebung des gestreuten Lichts im Vergleich zum ursprünglichen Laserstrahl lässt sich die Geschwindigkeit der Partikel und somit der Strömung bestimmen. Es handelt sich hierbei um ein berührungsloses Messverfahren, welches die Bestimmung von Geschwindigkeiten an einem Punkt mit hoher zeitlicher Auflösung ermöglicht. Daher bietet sich LDV nicht zur Messung von mittleren Abflussgrößen, sondern auch für die Turbulenzanalyse von Strömungen an.

Particle Image Velocimetry – PIV

Particle Image Velocimetry (PIV) ist ein berührungsloses, laser-optisches Messverfahren, bei welchem eine Ebene der Strömung mit einem Laserschnitt beleuchtet wird. Eine (oder mehrere) synchronisierte Kameras fotografieren die durch den Schnittbereich bewegten Tracer-Partikel in kurzen Zeitabständen. Durch die korrelationsbasierte Analyse charakteristischer Verschiebungsmuster der Partikel zwischen zwei Aufnahmen können Geschwindigkeitsfelder (Geschwindigkeitsvektoren) der Strömung über größere Bereiche ermittelt werden. Da es sich um ein bildgebendes Verfahren handelt, kann PIV ebenfalls zur Visualisierung von Strömungsfeldern herangezogen werden.

3D Particle Tracking Velocimetry – 3D-PTV

3D Particle Tracking Velocimetry (3D-PTV) nutzt das Prinzip der (Lagrangeschen-) Partikelverfolgung im dreidimensionalen Raum (Laser/Licht Volumen). Durch den Einsatz mehrerer Hochgeschwindigkeits-Kameras mit verschiedenen Blickwinkeln können die Trajektorien einzelner Tracer-Partikel zeitlich und räumlich hochaufgelöst rekonstruiert werden. Aus den Partikel-Trajektorien werden die Geschwindigkeit und die Beschleunigung der Partikel abgeleitet und auf ein regelmäßiges Raster interpoliert. Dies ermöglicht die detaillierte Untersuchung der dreidimensionalen Strömung und Fluid-Struktur-Interaktionen und wird in Forschungsbereichen eingesetzt, in denen ein tiefgehendes Verständnis der Strömungsdynamik erforderlich ist. Neben Particle Image Velocimetry (PIV) kann auch dieses bildgebende Verfahren zur Visualisierung von Strömungsfeldern herangezogen werden. Bei laser-optischen Verfahren (LDV, PIV, 3D-PTV) handelt es sich um anspruchsvolle Techniken für die präzise Messung und Analyse von Strömungen in Wissenschaft und Technik.

Innovative Messgeräteentwicklung – Farbklassifikation im gegenständlichen Modell

Um eine möglichst unbeeinflusste und effiziente Datenerfassung in klein- und großskaligen Modellversuchen zu ermöglichen, ist eine stetige Weiterentwicklung bestehender Messtechnik sowie die Erarbeitung neuer, innovativer und berührungsloser Messprozedere unabdingbar. Zur berührungslosen Erfassung der Kornzusammensetzung der Sohle sowie dem korngrößenabhängigen Transport- und Streuverhalten von Sedimenten werden im neuen Wasserbaulabor der BOKU eingefärbte Quarzsande und Kiese verwendet. Diese werden über hochaufgelöste Bildaufnahmen erfasst und mittels Farbklassifizierungsalgorithmen in Gruppen definierter Korngröße unterteilt.

Innovative Messgeräteentwicklung – Intelligente Steine

Zur Erfassung von Bewegungscharakteristiken transportierter Steine in einem Fließgewässer kommen am Institut für Wasserbau, Hydraulik und Fließgewässerforschung (IWA) intelligente Steine zum Einsatz. Die neuen, überdurchschnittlich großen Modellmaßstäbe bis hin zum unskalierten Modell erlauben den Einsatz modernster Sensortechnik in einzelnen Geschiebepartikeln. Über solch „intelligente“ Steine können Ruhephasen, Mobilisierung sowie Transport kontinuierlich erfasst und charakterisiert werden. Hierbei erlaubt die Erfassung von Beschleunigung, Winkelgeschwindigkeit sowie des umgebenden Magnetfeldes in Kombination mit mathematischen Filterverfahren eine Analyse der genauen Bewegungsmuster.