PHYSIKALISCHE MODELLIERUNG

Das wissenschaftliche Experiment ist im Wasserbau und in der Fließgewässerforschung seit 150 Jahren eine wichtige Methode, um wasserbauliche und flussbauliche Fragestellungen in einem skalierten, physischen Modell unter kontrollierten Bedingungen untersuchen zu können. Die Skalierung erfolgt anhand von Modellgesetzen und Ähnlichkeitsbedingungen. Typische anwendungsorientierte Fragestellungen reichen von der Dimensionierung von Tosbecken und Hochwasserentlastungsanlagen, über komplexere Fragestellungen zu morphologischen Entwicklungen in Flüssen, etwa bei Flussaufweitungen, bis hin zu ökohydraulischen Fragenstellungen, bspw. die Entwicklung von Fischaufstiegshilfen, oder das Untersuchen des Einflusses von Vegetation im Hochwasserfall.

Der größte Vorteil eines Experiments gegenüber einer numerischen Simulation ist, dass eine reale Strömungssituation untersucht werden kann, ohne dass die physikalischen Prozesse, die man untersuchen möchte, (formelmäßig) bekannt sein müssen. Eine numerische Simulation kann nur dann durchgeführt werden, wenn Formeln existieren, die den Prozess beschreiben, und ist man stets darauf angewiesen, dass diese korrekt, oder zumindest hinreichend genau sind. Aus diesem Grund bleibt das Experiment auch im Zeitalter von Supercomputern und Rechenclustern eine unverzichtbare wissenschaftliche Methode. Dies gilt insbesondere auch für Fragestellungen aus der Grundlagenforschung, um ein noch nicht vorhandenes Prozessverständnis zu entwickeln.

Großmaßstäbliche Modelle

Eine wasserbauliche Fragestellung kann ganz allgemein als Interaktion der Strömung mit „Objekten“ beschrieben werden. Zu diesen Objekten zählen bspw. ein Wasserkraftwerk, die Flusssohle, Geschiebe, das an der Flusssohle transportiert wird, eine Ufersicherung, Buhnen oder sonstige Begrenzungen des Wasserkörpers. Bestimmte Objekte können jedoch nicht skaliert werden. Dazu gehören etwa Vegetation, Fische oder Menschen. Ebenso ist es in einem verkleinerten Modell nicht möglich, die gesamte Bandbreite heterogener Sedimente eines Flusses zu modellieren. Dies ist nur in großmaßstäblichen bis hin zu 1:1-Versuchen möglich. Das BOKU Wasserbaulabor verfügt mit Durchflüssen bis zu 10 m³/s sowie großflächigen Indoor- und Outdoorbereichen über die Infrastruktur, (nahe) 1:1-Versuche mit Reynolds-Zahlen, wie sie in natürlichen Fließgewässern vorkommen, durchzuführen.

Laser-optische Strömungsmesstechnik

Laser-Doppler-Velocimetry (LDV) nutzt den Doppler-Effekt, indem es Laserlicht an kleinen in der Strömung mitgeführten Partikeln streut. Aus der Frequenzverschiebung des gestreuten Lichts im Vergleich zum ursprünglichen Laserstrahl lässt sich die Geschwindigkeit der Partikel und somit der Strömung bestimmen. LDV bietet sich für die Messung von Geschwindigkeiten und Turbulenzen in einem Punkt, mit hoher zeitlicher Auflösung, an.

Particle Image Velocimetry (PIV) hingegen beleuchtet eine Ebene der Strömung mit einem Laserschnitt. Eine (oder mehrere) synchronisierte Kameras fotografieren die durch den Schnittbereich bewegten Tracer-Partikel in kurzen Zeitabständen. Durch die korrelationsbasierte Analyse charakteristischer Verschiebungsmuster der Partikel zwischen zwei Aufnahmen können Geschwindigkeitsfelder (Geschwindigkeitsvektoren) der Strömung über größere Bereiche ermittelt werden.

3D Particle Tracking Velocimetry (3D-PTV) nutzt das Prinzip der (Lagrangeschen-) Partikelverfolgung im dreidimensionalen Raum (Laser/Licht Volumen). Durch den Einsatz mehrerer Hochgeschwindigkeits-Kameras mit verschiedenen Blickwinkeln können die Trajektorien einzelner Tracer-Partikel zeitlich und räumlich hochaufgelöst rekonstruiert werden. Aus den Partikel-Trajektorien werden die Geschwindigkeit und die Beschleunigung der Partikel abgeleitet und auf ein regelmäßiges Raster interpoliert. Dies ermöglicht die detaillierte Untersuchung der dreidimensionalen Strömung und Fluid-Struktur-Interaktionen und wird in Forschungsbereichen eingesetzt, in denen ein tiefgehendes Verständnis der Strömungsdynamik erforderlich ist.

LDV, PIV und 3D-PTV sind anspruchsvolle Techniken für die präzise Messung und Analyse von Strömungen in Wissenschaft und Technik. Bildgebende Verfahren wie PIV und 3D-PTV dienen weiters zur Visualisierung von Strömungsfeldern

Innovative Messgeräteentwicklung

Um eine möglichst unbeeinflusste und effiziente Datenerfassung in klein- und großskaligen Modellversuchen zu ermöglichen, ist eine stetige Weiterentwicklung bestehender Messtechnik sowie die Erarbeitung neuer, innovativer und berührungsloser Messprozedere unabdingbar. Am Institut für Wasserbau, Hydraulik und Fließgewässerforschung wurden in den letzten Jahren mehrere solcher Messverfahren erfolgreich in den regulären Laborbetrieb implementiert.

Neben Unterwasser-Sohlaufnahmen über verzerrungsbereinigte Fächerlasermessungen wurden beispielsweise Wägesysteme zur kontinuierlichen Messung von Geschiebetransport entwickelt. Neben der kontrollierten Messung des Geschiebetransports ermöglichen eigens für unsere Versuchsrinnen entwickelte, programmierbare Sedimentzugabemaschinen die Zuführung von stationären und instationären Sedimentganglinien. Zur berührungslosen Erfassung von korngrößenabhängigem Transport- und Streuverhalten von Sedimenten werden in unserem neuen Wasserbaulabor eingefärbte gefärbte Quarzsande und Kiese verwendet, welche über hochaufgelöste Bildaufnahmen erfasst und über Farbklassifizierungsalgorithmen klassifiziert werden.

 Weiters ermöglichen die neuen, überdurchschnittlich großen Modellmaßstäbe bis hin zum unskalierten Modell den Einsatz von Sensortechnik in den einzelnen Geschiebepartikeln. Über solch „intelligente“ Steine können Ruhephasen, Mobilisierung sowie Transport kontinuierlich erfasst und charakterisiert werden. Hierbei werden unter anderem Beschleunigungen und Winkelgeschwindigkeiten mittels 10-Achsen Sensorboards gemessen und lokal gespeichert.

Fluid-Struktur-Interaktionen

Die Interaktion von Sedimentpartikeln mit dem umgebenden Wasser fällt in die Kategorie von Fluid-Struktur-Interaktionen. Im Zuge von Grundlagenforschung zur Bewegung der Sedimentpartikel im Wasser wurden Versuche zur Bewegung von einzelnen Partikeln mit Hilfe von 3D-PTV durchgeführt. Dazu gehören Versuche in denen die vorhandenen Strömungsstrukturen beim Bewegungsbeginn einzelner Steine, und auch zum Zeitpunkt von Kollisionen von Steinen erforscht werden. Diese Messungen werden auch zur Entwicklung neuer numerischer Methoden zur Simulation der Bewegung von Steinen verwendet.

Messungen können oft nur in beschränkter Genauigkeit, oder nur in Punkten durchgeführt werden. Viele relevante physikalische Größen lassen sich außerdem nur indirekt messen, wie bspw. der Druck im Strömungsfeld. Deshalb werden, in Fällen, in welchen zusätzliche Ergebnisse auf dem gesamten dreidimensionalen Gebiet von Interesse sind numerische Simulationen, im Zuge sogenannter hybrider Modellierung, eingesetzt. Dabei werden die gemessenen Daten verwendet um die numerische Simulation zu kalibrieren. Simulationen liefern dann Daten auf dem gesamten Strömungsfeld. Im Gegenzug können diese Daten wiederum verwendet werden um den Modellversuch anzupassen, beziehungsweise um Gebiete zu identifizieren in denen zusätzliche Messungen neue Erkenntnisse liefern können.